Alles im Grünen Bereich? – Ein Ortsbesuch auf dem „Grüner Wohnen“ Campingplatz

Schlamm und Müll auf dem normalen Campingplatz, Fotos: Manuel Hofmann

Beim Gang durch den normalen Campingplatz des diesjährigen Chiemsee Reggae Summers offenbart sich dem hypochondrisch veranlagten Festivalbesucher ein prä-apokalyptisches Szenario. Tiefe Krater durchziehen die schlammigen Wege. Ein Spalier aus leeren Bierdosen umrahmt die Strecke, die nur mit wasserfesten Gummistiefeln und gehörig Kraftaufwand zu bewältigen ist.
Nur wenige Gehminuten weiter trennt ein einfacher Bauzaun das Campinggelände in zwei Welten. Während der matschige Boden auf der einen Seite die Gummistiefel weitgehend mit braun-grauer Soße bedeckt, lassen sich im benachbarten „Grüner Wohnen“ noch vereinzelt naturgrüne Flecken entdecken. Natürlich hat auch hier das Festivalgeschehen Spuren hinterlassen. Der heftige Regen, der im Laufe des Wochenendes viele Stunden in einem monotonen Trommeln auf die Planen der Zelte niederprasselte. Doch kann man anhand der matschig eingefärbten Grashalme des Bodens wenigstens noch die Wiese erkennen.

„Grüner Wohnen“ erfüllt damit seine Zwecke. Erstmals am diesjährigen Chiemsee Reggae Summer erprobt, soll genau jene Campingatmosphäre begünstigt werden, die auf dem regulären Campingplatz nicht geboten werden kann: Entspannt und gemäßigt soll es zugehen. Nach „Helga“-Rufen lauscht man hier vergeblich. Und auch jener Müll fehlt, der am Normalo-Camping den Wegrand säumt. Eine kurze gratis Registrierung auf der Homepage des Chiemsee Reggae Summers garantiert seit diesem Jahr den Platz im Grünen. Wellness Urlaub am Chiemsee, um es ein wenig euphemistisch auszudrücken.

Zur perfekten Idylle fehlt nur das Vogelzwitschern. Die rot-weißen Absperrbänder am Rand des Weges sind hier stehen geblieben. Vereinzelt laufen Camper vorbei, grüßen, und gehen ihres Weges.  Ein Jugendlicher sitzt gerade halb in seinem geöffneten Zelt und beschmiert sein Schwarzbrot großzügig mit Philadelphia. Einen Campingplatz weiter gibt es kaltes Dosenravioli. Einige Momente später erklärt ein Besucher, es sei schön, dass es hier „nicht so versifft“ ist. Dabei wirkt dieser nicht besonders empfindlich. Am rechten Handgelenk hängt das blaue Band vom Southside 2010. Das sei auch ganz lustig gewesen, betont er.

Warum aber Grüner Wohnen? Ist es der Drang nach spießbürgerlicher Ordnung? Die bloße Vernunft? Vielleicht auch der schlichte Versuch, Spaß zu haben, ohne jeglichen menschlichen Urinstinkten freien Lauf zu lassen.

Eine Gruppe aus Stuttgart sitzt vor dem Camp und trinkt. Ihr ältestes Mitglied ist gerade 18 Jahre alt. Der Chiemsee Reggae Summer das erste Festival überhaupt. Über die „eigenen Klos“ freuen sie sich, außerdem versinke man ja anderswo im Schlamm. So gäbe es auch keine dramatischen Einschränkungen für die grünen Camper. „Nachts halt keine laute Musik“.

Im Vergleich: Grüner Wohnen am Samstag Nachmittag

Tatsächlich schränkt die Campordnung das Hören von Musik in der Nacht ein: „Das übermäßige Strapazieren des Sprachapparates ist hier ebenso tabu wie lautgebende Mitbringsel aus Stadion oder Fanmeile“. Lautstärke wie Müll – beides soll hier minimiert werden. Schließlich bietet das Programm von mehr als 40 Bands genug Gelegenheit zum Austoben.

Welche Bands die Gruppe sehen mag, kann sie geschlossen nicht beantworten. Einen Moment herrscht trügerische Ruhe. Sie wird unterbrochen von Pia, die ein herzlich-rauschiges Lachen präsentiert. Gäste bekommen einen Tequila-Shot angeboten. Wenn man in die Gesichter der Camper blickt, zeigt sich schnell, dass es an diesem Tag nicht der erste war. Die Zitronenschalen landen am Rand der Zelte im Gras. Wenigstens ökologisch abbaubarer Müll.

Müll – ein Problem aller Festivalveranstalter, welches sie mit einigem Engagement bewältigen wollen. Während Mülltüten am Hauptcampingplatz kurzerhand zum Regenponcho umfunktioniert werden, werden hier die Tonnen auch tatsächlich sachdienlich genutzt.
So wird sich dieser Bereich sicherlich etablieren. Mehrere übereinstimmende Quellen aus Veranstalterkreisen sehen den „Grüner Wohnen“ Bereich als Spiel- und Testwiese für andere FKP Festivals.

Die aus den Wolken hervorblitzende Sonne senkt sich gen Horizont. Die letzten Lichtstrahlen streifen über die Zelte. Entspannt sitzen die Leute vor ihrer Behausung und denken wohl nach über die Erlebnisse des Chiemsee Reggae Summers auf dem „Grüner Wohnen“-Platz.
Wellness Urlaub ist es wirklich. Die Schlammpackung fehlt.

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Manuel Hofmann

Festivalaffiner Politikwissenschaftler.